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Schön und treu zugleich | Both beautiful and faithful

Ein zweisprachiger Text zum Internationalen Tag des Übersetzens | A bilingual post for International Translation Day


Diana Runge | 30 Sept 2021

Schön und treu zugleich

Kunst und Können der Übersetzung


Dem russischen Schriftsteller und Poeten Jewgeni Jewtuschenko (1932-2017) wird das Zitat zugeschrieben: „Eine Übersetzung ist wie eine Frau: Wenn sie schön ist, ist sie nicht treu, wenn sie treu ist, ist sie höchstwahrscheinlich nicht schön.“ Um es vorweg zu nehmen: Selbstredend stehen Schönheit und Treue weder in einem direkten Zusammenhang, noch lässt sich aus Geschlecht oder Aussehen eine Prädisposition für (Un-)Treue ableiten. Aber Jewtuschenko hat in einem Punkt recht: Übersetzungen voller sprachlicher Schönheit sind oft weit entfernt vom Original – manchmal so weit, dass der Sinn grundlegend verändert wird.


Beispiel eins: Die junge Frau ist keine Jungfrau, und das Kamel geht (wahrscheinlich) nicht durchs Nadelöhr


Eines der bekanntesten Beispiele ist in diesem Fall wohl die Bibel, in die sich – wie man heute weiß – im Lauf der Jahrhunderte zahlreiche Übersetzungsfehler eingeschlichen haben. So verkündete der Prophet Jesaja im hebräischen Original lediglich, dass die „junge Frau“ Maria ein Kind gebären werde. Die Jungfräulichkeit der werdenden Mutter wurde erst in der griechischen Übersetzung festgelegt. Von dort wurde sie zunächst irrtümlich, später auch bewusst, in alle weiteren Fassungen übernommen (1).


Ebenfalls auf einem Übersetzungsfehler, dieses Mal aus dem Griechischen heraus, fußt gegebenenfalls auch die Mär vom Kamel, das durch ein Nadelöhr geht beziehungsweise genau das eben gerade nicht tut – ebenso wenig, wie ein Reicher in den Himmel kommt (Markus-, Matthäus- und Lukas-Evangelium). Die sprachliche Nähe der griechischen Begriffe „kamaelos“ (Kamel) und „kamilos“ (Schiffstau, dickes Seil) könnte dem oder den Übersetzenden hier einen wortwörtlichen und seildicken Fallstrick bereitet haben. Allerdings: So ganz eindeutig ist das nicht. Denn nach anderer Lesart könnte sehr wohl ein reales Kamel gemeint sein, das hypothetisch versucht, sich durch ein kleines Tor am Ende einer engen Gasse in Jerusalem zu drücken, welches im Volksmund angeblich den Namen „Nadelöhr“ trug (2).

Sollte dies der Fall sein, dann wäre die kameloide Übersetzung nach eigener Einschätzung nicht nur schön, sondern auch der Jewtuschenko’schen Sichtweise nach treu und zudem ganz im Sinne eines anderen Bibelexperten.


Dem Volk aufs Maul schauen: Zielgruppengerechte Übersetzung im Mittelalter


Martin Luther (1483-1546), Professor der Theologie, Priester und Reformator, war auch der Erste, der die Bibel aus dem Lateinischen in die deutsche Alltagssprache übersetzte. Für seine Übersetzung schaute Luther eigener Aussage nach „dem Volk aufs Maul“. Danach, wie die Mutter im Hause, die Kinder auf Straße, der gemeine Mann auf dem Markt reden, solle sich eine Übersetzung richten – und nicht nach dem, was die Buchstaben der lateinischen Sprache vorgeben. Sinn und Verständlichkeit waren für Luther wichtiger als Worttreue und Korrektheit bis ins letzte Detail (3). Der Erfolg seiner Übersetzung zeigt, dass Luther beim Publikum einen (Sprach-)Nerv getroffen hat.


Beispiel zwei: Dank untreuer Übersetzung wird ein englischer Flop zum deutschen Straßenfeger


Denselben Nerv traf etwa 400 Jahre später Rainer Brandt (Jahrgang 1936), Schauspieler, Dialogbuchautor, Synchronsprecher und Synchronregisseur. In den 1970er Jahren war Brandt verantwortlich für die deutschsprachige Synchronisierung der britischen TV-Serie „Die 2“ (Originaltitel: The Persuadors) mit Roger Moore und Toni Curtis in den Hauptrollen. Das aufwändig produzierte britische Original ist zwar nicht völlig ohne Humor, kommt insgesamt jedoch eher bieder daher. Für die deutsche Fassung schrieb Brandt die Drehbücher konsequent um. Coole Sprüche, flotte Wortspiele, jugendhaft anmutender Jargon und mit schnoddriger Leichtigkeit verfasste Dialoge machten die Serie in Deutschland zum Erfolg. Und nicht nur dort: Für die französische Übersetzung wurden die deutschen Dialogdrehbücher zur Grundlage genommen, nicht das englische Original. Im heimischen Großbritannien sowie im kommerziell so wichtigen US-amerikanischen Markt war das Publikum hingegen wenig begeistert. So wurde die Serie nach nur 24 Folgen eingestellt (4, 5). Eine nicht repräsentative Umfrage im privaten Umfeld, die eigens für den vorliegenden Beitrag durchgeführt wurde, zeigt: Im englischsprachigen Raum ist die Serie heute vergessen. In Deutschland hingegen haben „Die 2“ anhaltenden Kultstatus – Schönheit und Untreue als Erfolgsfaktoren, sozusagen.


Mehr als Wortspielerei: Übersetzungen sind ein anspruchsvolles Arbeitsfeld


Ein Einzelfall sind „Die 2“ zwar nicht, dennoch dürfte sich die Zahl der Übersetzungen, die bewusst und absichtsvoll ihr Original verleugnen und/oder die Schönheit weit über die Treue stellen, gering sein. Das liegt vor allem daran, dass Übersetzerinnen und Übersetzer weltweit sich sehr wohl ihrer Verantwortung gegenüber den Originalautoren eines Werks und der Leserschaft bewusst sind. Übersetzungen sind ein Arbeitsfeld, in dem neben Sprachkenntnis auch kulturelle und kommunikative Fähigkeiten erforderlich sind, zusammen mit landes- und sprachspezifischem Wissen, guter Allgemeinbildung, Fingerspitzengefühl und extremer Sorgfalt um Umgang mit dem geschriebenen Wort. Bei literarischen Texten kommt eine Vertrautheit mit Genre und Autor:in hinzu. Bei Fachtexten erfordert eine Übersetzung auch immer ein Maß an Wissen über das inhaltliche Thema.


Natürlich spiegeln Übersetzungen stets auch den Geist und das Sprachverständnis ihrer Zeit wider. Ein Wandel im Sprach- und Textverständnis ist häufig ein Grund für eine Neuübersetzung, ebenso wie der Wunsch nach der Korrektur von Fehlinterpretationen oder Übersetzungsfehlern. Allerdings können auch kommerzielle Gründe zu einer Neuübersetzung führen, die nicht zwingend besser oder zeitgemäßer sein muss als vorangegangene Fassungen.


Kein Arbeitsfeld für Selbstdarsteller:innen, aber eines mit Vielfalt und Perspektive


Übersetzerinnen und Übersetzer arbeiten hinter den Kulissen und oft in völliger Anonymität. Nur selten sind ihre Namen öffentlich bekannt. Ihre Bedeutung, ebenso wie die der Dolmetscher, deren Schwerpunkt eher auf dem gesprochenen als dem geschriebenen Wort liegt, nimmt in Zeiten der Globalisierung jedoch immer weiter zu. Zwar beherrschen heutzutage viele Menschen selber Fremdsprachen, und technische Hilfsmittel wie Übersetzungsprogramme sind weit verbreitet und liefern mittlerweile sogar ganz passable Ergebnisse. Doch diese Entwicklungen verändern das Arbeitsumfeld von Übersetzern lediglich, sie machen sie aber nicht überflüssig. Dank ihres Spezialwissens, ihrer Integrität – gerade in sensiblen Bereichen, wie Recht, Wirtschaft, Gesundheit, Politik – und ihrer Zusatzkompetenzen, wie Lektorat, Transkreation (Übertragung eines Textes in einen anderen kulturellen Kontext) und kommunikative Beratung, bleibt der Bedarf an Übersetzer:innen und ihren Leistungen ungemindert hoch (7).


Als jemand, der nicht nur eigene Texte zweisprachig verfasst, sondern auch selber (Fach-)Publikationen übersetzt kann ich nur sagen: Gut so! Denn das Wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Schönheit und Treue macht das Übersetzen nicht nur anspruchsvoll, sondern vor allem auch ausgesprochen interessant.


Jewtuschenko war übrigens in dritter von insgesamt vier Ehen mit der britischen Übersetzerin Jan Butler verheiratet, die seine Werke aus dem Russischen ins Englische übertrug. Inwieweit der oben zitierte Ausspruch davon beeinflusst wurde, ist nicht bekannt.

 

 

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(1) https://www.refinery29.com/de-de/2017/01/135666/bersetzungsfehler-machte-maria-zur-jungfrau

(2) https://www.kath.ch/newsd/kamel-durchs-nadeloehr/

(3) https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/viele-redewendungen-gehen-auf-martin-luther-zurueck-15045825-p3.html

(4) https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag6764.html

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_2_(Krimiserie)

(6) https://www.ubersetzungszentrum.de/blog/156-neuuebersetzungen

(7) https://bdue.de/fuer-presse-medien/presseinformationen/pm-detail/berufe-mit-zukunft-uebersetzen-und-dolmetschen-in-zeiten-des-digitalen-wandels/

 

Photo by Jan Antonin Kolar on Unsplash

 

 

 

Both beautiful and faithful

The art and ability of translations


The Russian writer and poet Yevgeny Yevtushenko (1932-2017) is quoted to have said: „Translation is like a woman. If it is beautiful, it is not faithful, if it is faithful it is most certainly not beautiful.” Just to make one thing clear: Beauty and faithfulness are neither directly connected to each other, nor do gender or appearance cause a predisposition for (un-)faithfulness. Yevtushenko has a point though: Translations, which are beautiful from a linguistic point of view, can often be far removed from the original – sometimes so far, that the original meaning gets utterly transformed.


Example number one: A young woman is not a virgin, and a camel does not go through the eye of a needle. Or does it?


It is a well-known fact today that the Bible holds a number of mistranslations. For example, in the Hebrew original the prophet Isaiah announces that “the young woman Mary” will give birth to a child. The state of virginity of said young woman was only introduced in the Greek translation. From there, the virgin birth found its way into all subsequent translations and editions – accidentally at first, intentionally later (1).


Likewise, the tale of the camel that goes through the eye of a needle, or rather does not go through there, the same way a rich man does not get into heaven (Gospel Matthew, Mark and Luke), may also be based on a mistranslation, this time from Greek. The Greek word for camel “kamaelos” is quite close to the word “kamilos”, which means cable or thick rope. This resemblance may have caused a pitfall for the translator or translators at the time. However, the verdict is by no means final. According to an alternative interpretation, the author/s of the Bible may indeed refer to a real camel that hypothetically tries to pass through a small door at the end of a narrow passage in Jerusalem, which was allegedly called “eye of the needle” by the locals at the time (2). If this was to be the case then, the camelid translation would not only be beautiful by own assessment and faithful according to Yevtushenko. It would also be well and truly to the liking of another Bible expert.


The gob of the people: Target group orientated translation in the Middle Ages


Martin Luther (1483-1546), German theologian, priest, author and reformer, was also the first person to translate the Bible from Latin into German colloquial. For his translation, Luther, according to his own words, “closely observed the people’s gob”: A translation should go by the way a mother speaks at home, the children talk on the street or the ordinary man converses on the market rather than following the direction set by the Latin writing. For Luther, sense and comprehensibility were far more important than literal exactness and accuracy down to the last detail (3). The success of his translation shows that Luther struck the right (linguistic) chord with his target audience.


Example number two: An unfaithful translation turns an English flop into a German blockbuster


The same chord was struck some 400 years later by Rainer Brandt (born 1936), German actor and dialogue and dubbing director. Quick note on the side: In Germany as well as in many other European countries, international movies and TV-productions are generally dubbed for public screening. Dubbing means that a film or series gets a new dialogue in the local language, with professional actors and speaker lending a new voice to the original characters. This practice goes back to the 1950s when global distribution became more and more important for the international movie industry, but the majority of Europeans only spoke and understood their own vernacular. That has changed, but even though most (young) Europeans speaks English fluently, the majority of viewers still prefer dubbed versions when watching or streaming movies and series.


In the 1970s, Rainer Brand was the dialogue author and dubbing director responsible for dubbing the British TV-series “The Persuaders” (in German: “Die 2”), starring Roger Moore and Toni Curtis. While the British original was not entirely devoid of humour, it nevertheless came across somewhat uptight. For the German version, Brand resolutely and purposefully rewrote the entire dialogue script. Witty remarks, deliberate puns, sharp jokes, youthful jargon and tongue-in-cheek flippancy turned the series into an instant success in Germany. And not only there. The French dubbing was based on the German dialogue script, and not the English original. In the UK as well as in the US, which was a crucial market for the commercial make or break of a TV production, the audience was not persuaded by The Persuaders. The series was considered a flop and got cancelled after 24 episodes. An entirely not representative survey carried out privately for the purpose of writing this article reveals that The Persuades have been long since forgotten in the English speaking world. In Germany, however, the TV show is considered a cult classic. Beauty and unfaithfulness as success factors, so to say.


More than just a play on words: Translations are a sophisticated job


The case of “The 2” is not an isolated incident. However the number of translations that consciously and deliberately deviate from their original, thereby putting beauty before faithfulness, is certainly small. Translations present a field of work that requires not only language skills, but also cultural and communicative expertise, together with specific insights into countries and vernaculars, extensive general knowledge, finesse and tremendous diligence when working with the written word. Literary texts also necessitate a great familiarity with both genre and author. Translating non-fiction and specialised texts demands that the translator also knows a good deal about the subject.


Translations of course also reflect the spirit and language comprehension of their time. Therefore, a change in the perception of language and writing often calls for a new translation, as does the wish to correct misinterpretations or errors. However, commercial reasons may also lead to a new translation, which is not necessarily better or more up-to-date than previous versions.


No occupation for self-promoters, but one with variety and perspective


Translators work behind the scenes and often in total anonymity. Only rarely their names become known to the public. In a globalised world, their work becomes more and more important. The same of course holds true for interpreters, which focus on the spoken rather than the written word. These days many people speak a foreign language, and translation software is not only readily available, but also delivers reasonable results. And while these developments alter the work of translators, they do not supersede them. Thanks to their specialist knowledge, their integrity – especially in sensitive areas like law, economics, health and politics – and their additional competencies, e.g. editing, transcreation (transferring a text into a different cultural context) and communication consulting, translators and their services will always remain in high demand (7).


For someone who does not only write her own copy in two languages, but also translates specialised texts and publications, these are good news indeed. Walking the thin line between beauty and faithfulness ensures that translating is not only a challenging task, but also one that is highly interesting.


Incidentally, Yevtushenko’s third marriage, out of a total of four, was to the British translator Jan Butler, who also translated his works from Russian into English. It remains unknown if this personal affiliation is in any way connected to the statement cited above.


 

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(1) https://www.refinery29.com/de-de/2017/01/135666/bersetzungsfehler-machte-maria-zur-jungfrau

(2) https://www.kath.ch/newsd/kamel-durchs-nadeloehr/

(3) https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/viele-redewendungen-gehen-auf-martin-luther-zurueck-15045825-p3.html

(4) https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag6764.html

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_2_(Krimiserie)

(6) https://www.ubersetzungszentrum.de/blog/156-neuuebersetzungen

(7) https://bdue.de/fuer-presse-medien/presseinformationen/pm-detail/berufe-mit-zukunft-uebersetzen-und-dolmetschen-in-zeiten-des-digitalen-wandels/

 

Photo by Jan Antonin Kolar on Unsplash

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