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Keine große Wissenschaft.

Das Internet kann man als Quelle von Des-/Information kritisieren. Man kann es aber auch verbessern.


Diana Runge | 21. April 2021

Das neben stehende Meme tauchten vor kurzem in meinem Social Media Feed auf. Aus dem schwarzen Text auf weißem Grund, der besagt: „Ich habe meine eigenen Forschungen angestellt, wird durch die Fußnoten die Aussage „Ich habe das lausige YouTube Video von jemand anderem angesehen“. So einfach die Gestaltung, so klar die Botschaft: Hier wird Kritik an Menschen geübt, die die Informationsbeschaffung im Internet mit echtem Wissensgewinn verwechseln.


Ein amüsantes Meme, das die ernste Frage nach sich zieht, warum die Menschen lieber ihre eigenen Nachforschungen anstellen statt offiziellen Quellen zu vertrauen.


Es ist eine weithin bekannte und vielfach beklagte Tatsache, dass das Internet im Allgemeinen und den sozialen Medien im Besonderen bei der Verbreitung von Informationen eine immer größere Rolle spielen – und ebenso bei der Verbreitung von Falschinformationen. Nachrichten und Informationshäppchen in den sozialen Medien sind leicht zugänglich, leicht verdaulich und leicht zu teilen. Dass das Medium dem Namen nach ‚sozial‘ ist und Tweets, Memes oder Posts oft im Freundeskreis geteilt werden, reicht vielen Menschen als Beleg von Glaubwürdigkeit aus. Informationen aus offiziellen Quellen scheinen hingegen zunehmend unter einem ‚Unvertrauens-Vorschuss‘ zu leiden. Hinzu kommt: Je weniger offizielle Informationen zu persönlichen Überzeugungen passen, als desto weniger verlässlich und zutreffend werden sie eingeschätzt

Dieser Logik folgend bleibt ‚kritischen Geistern‘ gar nichts anderes übrig, als ihre ‚eigenen Forschungen‘ anzustellen. Das Internet hält für alle Fragen die passenden Antworten und für alle Ansichten die passenden Beweise bereit. Die eigenen Nachforschungen sind fast immer erfolgreich. In der Regel führen sie zu Ergebnissen, die das bestätigen, was die Informationssuchenden ohnehin schon immer gewusst oder zumindest vermutet haben.


Sich über das Informationsstreben im Internet lustig zu machen, ist ein Zeichen für professionelle Arroganz.


Die Suche nach Urheber und Kontext des Memes führt zu einem (privaten) Wissenschafts-Blog. Der Autor, nach eigener Angabe ein Softwareentwickler und ehemaliger Rennradprofi, fordert dazu auf, bei der Informationsbeschaffung im Internet nicht von ‚eigenen Nachforschungen‘ zu sprechen. Er stellt fest: „Du hast überhaupt keine Forschungen angestellt, und es ist sehr wahrscheinlich, dass du noch nicht einmal weißt, wie das geht.“. Im Kern steht die Aussage, dass nur das Einhalten anerkannter wissenschaftlicher Methoden als Forschung zu gelten hat. Wer diese nicht befolgt, so der Autor, der gewinnt auch keine neuen Informationen. [1]


Hier scheint zum einen ein semantisches Problem vorzulegen. Laut Duden bedeutet Forschung „das das Arbeiten an wissenschaftlichen Erkenntnissen; Untersuchung eines wissenschaftlichen Problems“ [2]. Umgangssprachlich bedeutet Forschung jedoch auch einfach die Suche nach Informationen, Fakten oder Zusammenhängen. Dies kommt manchmal eher dem Stöbern auf einem staubigen Dachboden gleich als der systematischen Erkenntnisgewinnung in einem Labor. Nur dass der Dachboden in diesem Fall das Internet ist. Und das ist alles andere als staubig, wird es doch ständig mit frischen Inhalten befüllt.


Zum anderen zeigt sich hier die noch immer existierende Überheblichkeit des Expertentums über ‚normale Menschen‘. Richtig ist: Die meisten Menschen verfügen nicht über professionelles Wissen und Methodenkenntnis in medizinischer Forschung, Ingenieurswissenschaften, Datenverarbeitung, Umweltwissenschaften etc. Das Stöbern nach Wissen und Information jedoch als ‚unwissenschaftlich‘ abzutun, wirft kein schlechtes Licht auf die Stöbernden, sondern auf die Welt der Experten. Eine solche Form der professionellen Arroganz ist auch mitverantwortlich dafür, dass „lausige youtube-Videos“ sich im Internet größerer Popularität erfreuen als wissenschaftlich fundierte Webseiten.


Wissenschaft, Technik und Politik bemühen sich um die Vermittlung von sachgerechter Information. Doch die Verbreiter von Fake News sind oft schneller – und oft auch kreativer.


Um eines klar zu stellen: Der Großteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie zahlreiche Angehörige verschiedenster Professionen – darunter auch die Politik – legen größten Wert darauf, ihre Erkenntnisse verständlich gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Unterstützt werden sie dabei von der Kommunikationsbranche sowie von fachlich versierten Journalistinnen und Journalisten. Immer öfter und immer stärker wird Information und Desinformation jedoch von anderen verbreitet, für die Verantwortung, Vernunft, Wahrheit, Fairness oder Ethik keine Rolle spielen.


Das Internet bietet fast unbegrenzten Zugang zu Wissensquellen und Datenbanken weltweit. Aber ebenso bietet es auch unbegrenzten Zugang zu Fake News und Gerüchten, zu unbewussten Irrtümern und bewussten Lügen. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Fake News verbreiten sich fast von selber, dank einfacher Botschaften, lustiger Bilder und knackiger Videos. Im Gegensatz dazu ist der Zugang zu ‚ordentlich recherchierten‘ Daten und Fakten oft verbunden mit einer mühsamen Odyssee durch ein Meer unübersichtlicher Webseiten, langatmiger Artikel in Fachsprache und unlesbaren Statistiken. Doch das muss nicht so sein.


Von kurzen Cartoons zu ausführlichen digitalen Stories gibt es verschiedene Wege, um Zahlen und Fakten anschaulich zu kommunizieren und den Menschen ihre eigenen Nachforschungen zu erleichtern.


Gute Beispiele für kreative und gelungene Informationsvermittlung gibt es viele – im Übrigen auch auf YouTube. Drei sehr verschiedenen Ansätze seien hier beispielhaft genannt.


Der animierte Cartoon “Flatten the Curve” (Die Kurve abflachen) des Comic-Künstlers Toby Morries zusammen mit der Mikrobiologin Siouxsie Wiles ist ein großartiges Beispiel dafür, wie komplexe Zusammenhänge so aufbereitet werden können, dass sie wissenschaftlich korrekt und leicht zu verstehen sind – und dazu noch in sozialen Netzwerken geteilt werden können.  [3]


Die digitale BBC-Reportage “The Road to Clean Energy” (Der Weg zur sauberen Energie) des Journalisten Simon Jack ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in spannenden Content verwandelt werden können. Die Daten werden in verständlichen Visualisierungen übersetzt, begleitet von ansprechenden Bilder und kurzen Videos. Zusammengehalten wird die Story durch Text, der zwar durchaus technisch, aber dennoch einfach zu lesen ist. [4]


Für diejenigen, die ‚Flatten the Curve‘ etwas zu simpel und ‚The Road to Clean Energy‘ etwas zu komplex finden, bieten Erklärvideos eine moderne, interaktive und attraktive Möglichkeit Information zu vermitteln und Kernbotschaften zu transportieren. “Why recycle your mobile phone” (Warum das Handy recyceln) [5] von Mobile Muster ist voll gepackt mit Informationen – und das bei einer Länge von nur eineinhalb Minuten. Auch ein Appell an das persönliche Handeln findet Platz, ganz ohne dass der moralische Zeigefinger erhoben wird.


Der Beweis liegt im Dialog: Wenn Wissenschaftler, Experten und Politiker wirklich die Verbreitung verlässlicher Informationen verbessern wollen, müssen sie reden – und sie müssen zuhören.


Zu guter Letzt: Die direkte Interaktion hat sich seit langem als Königsweg bewiesen, wenn es darum geht, die ‚eigenen Nachforschungen‘ der Menschen zu unterstützen. Ein offener Dialog sorgt nicht nur für Transparenz und fördert den Informationsgewinn, sondern er bewirkt auch mehr Verständnis und Vertrauen bei allen Beteiligten.


Natürlich kostet es Zeit und Mühe, einen Dialog zu führen. Mit einem Gespräch, einer Veranstaltung ist es dabei nicht getan. Und besonders aufwändig wird es, wenn zu den Dialogpartnern Kritiker gehören. Es erzeugt Aufwand, Informationen dort bereit zu stellen, wo die Menschen sie suchen, zum Beispiel in den sozialen Medien statt nur in wissenschaftlichen Diskussionsforen, und sie in Formate zu übersetzen, die den Zugang erleichtern, wie Memes und Videos statt Forschungspapiere und mehrdimensionale Grafiken. Doch die Bekämpfung von Fake News und den Schaden, den sie anrichten, ist um ein Vielfaches aufwändiger.


Es ist immer gut, wenn Menschen nach Informationen suchen und dabei ihre eigenen Forschungen anstellen. Und es liegt in der Hand von Expertentum und Kommunikation dafür zu sorgen, dass diese nicht damit enden, sich „das lausige youtube Video von jemand anderem“ anzusehen.

 



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[1] M. Özgür Nevres: „Please stop saying you “researched it“. November 2020. Blogpost on https://ourplnt.com/i-did-my-own-research/#axzz6lmBrzD8F, November 2020

[2] Bibliographisches Institut GmbH. Webseite www.duden.de/rechtschreibung/Forschung, abgerufen Februar 2021

[3]Flatten the Curve, GIF published on Wikimedia by Toby Morris and Siouxsie Wiles, March 2020: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Covid-19-curves-graphic-social-v3.gif

[4] Simon Jack, Lora Jones, Sana Jasemi (graphics): The road to clean energy. BBC 2021. www.bbc.co.uk/news/extra/DmZ6C9zSsR/road_to_clean_energy#group-Wind-power-GKNCtp2ebl

[5] Mobile Muster: https://www.mobilemuster.com.au/staging/recycling/, video produced by Vidico


Photo by Brett Jordan on Unsplash


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