Tourismusmarketing in Zeiten der Pandemie
Diana Runge | 16. Dez 2020
"Fahre in die Welt hinaus. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in Fabriken hergestellt oder bezahlt wurde. Frage nicht nach Garantien, frage nicht nach Sicherheit.“ Ray Bradbury, Fahrenheit 451
In der 1953 erschienenen Dystopie ‚Fahrenheit 451‘ erhält der Protagonist Guy Montag den Rat, sich die Welt mit eigenen Augen anzusehen, statt sie nur passiv über Filme und organisiertes Entertainment wahrzunehmen. Im Zuge der gleichsam dystopisch anmutenden Corona-Pandemie im Jahr 2020 gilt dieser Rat nicht länger. Stattdessen heißt es: Bleibe zu Hause, und wenn du schon unterwegs sein musst, dann achte auf die Sicherheit und sorge für eine Rückholgarantie. Reisen wird zur virtuellen Erfahrung, die Angebote reichen vom Videorundgang im Museum bis zur Online-Safari in den Weiten Afrikas. Doch der Traum vom echten Reisen bleibt bestehen.
Urlaub in Deutschland: Ein Mitsommernachtstraum von goldenen Zeiten vor der eigenen Haustür
Wie stark dieser Traum das Verhalten beeinflusst, zeigte sich im (europäischen) Sommer 2020. Kaum war die erste Corona-Welle überstanden, reisten die Deutschen wieder. Davon profitierten zahlreiche Ziele in den Nachbarländern. Doch auch die deutschen Urlaubsorte - von den Seebädern der Nord- und Ostsee bis zu den Alpenressorts – waren mehr als ausgebucht. Gezielte Marketingkampagnen unterstützten den Trend zum Reiseland Deutschland. Beispielsweise warb das rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerium ab Juni 2020 deutschlandweit in Print und Online mit dem Slogan „Rette deinen Sommer! – Deine Goldene Zeit in Rheinland-Pfalz“ für Urlaub im Ländle. Den Worten der Agentur zufolge, die die Kampagne umgesetzt hat, wird Rheinland-Pfalz als ein Reiseland inszeniert, „in dem aus dem geplanten Urlaub genau das werde, was viele sich erträumt hatten, eine ganz besondere, eine ‚goldene‘ Zeit“. Nur trete man diesen Urlaub nun eben nicht in Spanien, Singapur oder Südafrika an, sondern eben zwischen Odenwald und Bodensee. (1) (2)
Das Motiv des Warum-in-die-Ferne-Schweifens-wenn-das-Gute-liegt-so-nah zeigt sich auch in der Kampagne „Tür an Tür mit Thüringen“. Die ebenfalls im Juni 2020 gestartete erste Stufe der Kampagne fokussierte auf individuelle Erlebnisstories vom Urlaub beim 'Nachbarn Thüringen'. Platziert auf Plakaten, auf einer Kampagnenwebseite und natürlich in den sozialen Medien sollte sie vor allem jüngeres Publikum ansprechen und für einen Reise in den Freistaat gewinnen. Die zweite Stufe der Kampagne lief im September 2020 an. Im Mittelpunkt steht ein Werbefilm, der „die Story der ‚Frühstücksträumerei‘ vom super Urlaub in Thüringen erzählt“. (3) (4)
Das Ende des Jahres bringt das Ende vom Traumurlaub selbst im eigenen Land
Nicht Träume, sondern ‚Sehnsuchtsorte‘ stehen im Fokus der dritten, hier beispielhaft genannten und – man ahnt es – ebenfalls im Juni 2020 gestarteten Tourismuskampagne der Bundeshauptstadt Berlin. Grün, Wasser, Kultur, Museen, Geschichte: All das verspricht die ebenfalls auf ein jüngeres Publikum angelegte Kampagne „Berlin. Auch das.“ Ziel war es, die „Menschen aus ganz Deutschland nach Berlin zu locken“. (5) (6) Im November 2020 wurde die Kampagne aufgrund steigender Infektionszahlen in der Berliner Innenstadt vorerst eingestellt. (7)
Der Traum vom unbeschwerten Reiseland Deutschland währte nicht lange. Mit erneutem Anstieg der Infektionszahlen wurden wieder Beschränkungen eingeführt. So schnell die Reisewelle begonnen hatte, so schnell ebbte sie auch wieder ab. Zu Weihnachten 2020 befindet sich Deutschland im strengen Lockdown. Der Weihnachturlaub ist gestrichen, die Reise zur Familie wird zur Zoom Konferenz.
Urlaub in Südafrika: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Südafrika verhängte im März 2020 einen der weltweit strengsten Corona-Lockdowns. Alle Häfen, Flughäfen sowie die Grenzübergänge zu den Nachbarländern wurden geschlossen. Der internationale Reiseverkehr kam vollständig zum Erliegen. Auch das Reisen innerhalb des Landes war nur mit Ausnahmegenehmigung erlaubt.
Die nationale Tourismusbehörde South African Tourism reagierte sofort. Noch im März 2020 wurde die Kampagne „Don’t Travel Now So You Can Travel Later“ aufgesetzt (frei übersetzt: Verzichte jetzt aufs Reisen, damit du es später kannst). Die Kampagne verband die Botschaften „Bleibe Zuhause“ und „Träume vom Reisen“ und wurde in Form von drei Fernsehspots und digitalem Content ausgespielt. Die stark emotionalisierte Mischung aus Durchalte-Stimulus und Alles-wird-gut-Rhetorik ist durchaus gelungen. In den Medien und sozialen Netzwerken fand sie national wie international viel Beachtung und Zuspruch. Wenngleich sie vor allem auf das einheimische Publikum ausgerichtet war, so hatte die Kampagne dem Marketingchef der Behörde zufolge auch zum Ziel, die Südafrikaner selber als Botschafter der 'Marke Südafrika' in Richtung eines internationalen Publikums auftreten zu lassen. (8)
Der Gast als Botschafter, der Nutzer als Vermarkter, die Realität als Verkaufsargument
Dieser Ansatz wurde mit der Folgekampagne #ShareSouthAfrica im August 2020 noch einmal verstärkt. Das klassische Erzählmuster des touristischen Narrativs wird hier vollständig umgedreht: Nicht die touristische Sicht auf die ewigen Traumziele Tafelberg, Garden Route oder Krüger Nationalpark steht im Mittelpunkt, sondern die lokale Identität und Erfahrung der Südafrikaner im eigenen Land. Dabei treten diese in einer Doppelrolle auf. Sie sind Gast und Gastgeber, Touristen und Vermarkter touristischer Angebote zugleich. (9)
Die Kampagne setzt darauf, dass Südafrikaner ihre unmittelbare Umgebung am Reise- oder am Wohnort vorstellen und für diese werben. Ziel ist es, durch eine Masse von nutzergeneriertem Content inländische und ausländische Besucher zugleich zum Reisen zu inspirieren. Mittlerweile ist auf Twitter und Facebook ein eklektischer Mix aus Reisestories in Bewegt-/Bild und Ton zustande gekommen. Neben originären Nutzerstories sind auch Inhalte regionaler Tourismusverbände und einzelner Anbieter zu finden.
Verglichen mit den „Traum- und Sehnsuchtsmotiven“ der deutschen Tourismusoffensive sowie im Gegensatz zur emotionalen Ansprache der „Don’t Travel Now“-Kampagne setzt #ShareSouthAfrica verstärkt auf Wirklichkeitsnähe. So finden sich zwar die üblichen Ansichten aus der Natur, der Tierwelt, der Weinkultur und der gehobenen Gastronomie. Doch es findet sich eben auch Orte weit außerhalb des touristischen Spektrums. Ein Beispiel dafür ist die Einladung nach Bona Tsotlhe, einer mobilen Küche in der abseits aller Touristenpfade gelegenen Kleinstadt Christiana in der Provinz North West. Der Anblick gebratener Würstchen, serviert aus einem Foodtruck inmitten eines formellen (und sehr aufgeräumten, aber sichtlich wenig wohlhabenden und mitnichten pittoresken) Townships ist ein Motiv, das es im Tourismusmarketing eher selten geben dürfte. Doch es passt zum Ansatz der Kampagne, bewusst auch die Zielgruppen anzusprechen, die aus ökonomischen wie kulturellen Gründen bislang eher wenig reisen.
Corona bleibt Teil der Reiserealität – und damit Teil des Reisemarketings
Immer wieder werden in den Content auch Posts und Hashtags eingestreut, die zum regelmäßigen Desinfizieren der Hände, zum Maskentragen und zum bewussten Umgang mit dem Risiko einer zweiten Corona-Welle auffordern. Seit Dezember nimmt deren Frequenz zu. Denn mit steigenden Infektionszahlen und der drohenden Wiederauflage von Reisebeschränkungen ist auch der gerade frisch angekurbelte (Binnen-)Tourismus in Gefahr – und das im Dezember, dem südafrikanischen Reisemonat schlechthin, in dem Weihnachten und Sommerferien zusammenfallen.
Der Traum vom Reisen wird zum Traum von Sicherheit – und Corona wird zum Realitätscheck
Die hier dargestellten Kampagnen stehen beispielhaft für viele andere. Corona hat nicht nur das Reisen, sondern auch das Reisemarketing verändert beziehungsweise bereits angelaufene Veränderungen beschleunigt. Die Trends zum Vermarkten inländischer Ziele, zur Aktivierung neuer, vor allem junger Zielgruppen, zu neuen Erzählmustern und nutzergenerierten Inhalten hat es auch schon vor der Pandemie gegeben. Ihren Ursprung haben sie im veränderten Urlaubsverhalten, bedingt durch zunehmendes Umwelt- und Klimabewusstsein, den Siegeszug der (nicht mehr ganz so) neuen Medien und veränderter Reiseerwartungen, in denen sich der Wandel der Lebensstile und wirtschaftliche Entwicklungen gleichermaßen widerspiegeln. Corona hat diesen Ansätzen einen neuen Aufschwung verliehen, der absehbar auch nach Abklingen der Pandemie fortwirken wird.
Das Reisemarketing steht unter enormem Erfolgsdruck. Angesichts der weltweiten Einbrüche in der Tourismusbranche und anderer Wirtschaftszweige und der absehbar nur langsamen Rückkehr zur Normalität ist der Wettbewerb der Reiseländer und –regionen schärfer als je zuvor. Wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern dieses Wettbewerbs gehören wird, wird sich nicht nur daran festmachen, wer das Versprechen auf die Erfüllung von Reiseträumen am besten vermitteln und einhalten kann. Um auf das eingangs stehende Zitat zurück zu kommen: Sicherheit und Garantien werden beim Thema Reisen zukünftig noch wichtiger werden – auch im Marketing.
Tourism South Africa kündigte bereits an, eine Fallstudie zum Umgang mit Covid 19 (Covid 19 Management Case Study) zusammenzustellen. Die Ergebnisse der Studie sollen im Kern einer nächsten Kampagne stehen. Ziel sei es, den durch Missmanagement und Kriminalität in der Vergangenheit angeschlagenen Ruf Südafrikas positiv zu beeinflussen. Dafür solle der Umgang mit Corona als Prüfstein für effizientes und wirksames Handeln inszeniert werden. (9) Auf diese Kampagne darf man wahrlich gespannt sein.
Quellen:
(1) Wirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz, Juni 2020
(2) Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH, Kampagnenwebseite
(3) Tourismusnetzwerk Thüringen, September 2020
(4) Thüringer Tourismus GmbH, Kampagnenwebseite
(5) Berliner Abendblatt, 11. Juni 2020: Neue Tourismus Kampagne - Berlin wirbt mit seinem Grün
(6) visitBerlin, ‚Berlin. Auch das.‘ Kampagnenwebseite
(7) RBB 24, 5. Oktober 2020: Risikogebiet Innenstadt - Berlin stoppt wegen Corona Tourismus-Kampagnen
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© 2024 Diana Runge