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Tata ist böse. Die Corona-Krisenkommunikation in Südafrika zeigt sich von ihrer paternalistischen Seite.

Diana Runge | 15. Juli  2020

Als Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa am Abend des Sonntag, 12. Juli 2020, nach langer Bildschirmabstinenz wieder vor die Fernsehkameras trat, waren sein Auftreten und seine Worten weit entfernt von seiner sonstigen ruhigen Gelassenheit. Statt eines mitfühlenden Staatsoberhaupts bekamen die Südafrikaner einen genervten Landesvater zu Gesicht, der seinem Volk die Leviten las. „Ich fühle mich, als wäre ich nach einer Standpauke direkt ins Bett geschickt worden“, war die Reaktion einer Nutzerin auf Facebook, während auf Twitter kommentiert wurde: „Tata schimpft heute Abend mit uns“. Tata bedeutet „Vater“ in der Sprache der Xhosa. Und in der Tat ging „Papa Ramaphosa“ streng mit den Südafrikanern ins Gericht.


Ramaphosa: “Auf diese Weise wird der Virus verbreitet – durch Leichtsinn und Rücksichtslosigkeit”


Der Zorn des Präsidenten richtete sich gegen die zunehmende Zahl von Südafrikanern, die sich nicht an den Lockdown halten und die Regeln des „Social Distancing“ ignorieren. Ramaphosa betonte, dass die Mehrheit der Menschen die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus umsetzten. Seiner Verachtung für diejenigen, die dies nicht tun, lies sich aus seinen Worten jedoch ebenso unmissverständlich herauslesen wie aus seine Gesichtszügen. „Leichtsinnig“ und „rücksichtslos“ seien diejenigen, die den Lockdown missachten. Er machte deutliche, dass die Südafrikaner mit ihrem Verhalten eine Mitschuld an der rasanten Zunahme von Covid-19-Erkrankungen im Land trügen: „Es gibt einige unter uns, die die Vorgaben ignorieren. […] Sie handeln auch ohne jede Verantwortung für gegenseitigen Respekt und Schutz.“ Als Beispiele für solch missbilligendes Verhalten nannte Ramaphosa die Veranstaltung von großen Feiern, die Teilnahme an ausufernde Hochzeiten und Beerdigungen, Trinkgelage sowie der Aufenthalt unter Menschen ohne Gesichtsmaske. „Die Krankheit mag von einem Virus verursacht werden, aber verbreitet wird sie durch menschliches Benehmen und Verhalten“, schlussfolgerte er streng.


Als Vater von vier mittlerweile erwachsenen Kindern weiß Ramaphosa sicher, dass eine Strafpredigt allein zu wenig ist, um einem unerzogenen Sprössling ein anderes Verhalten beizubringen. So ließ er seinen Worten auch umgehend Taten folgen und verkündete die erneute Verschärfung der Lockdown-Regeln sowie deren härtere Durchsetzung. Das Nicht-Tragen von Gesichtsmasken außerhalb der eigenen Wohnung kann nun mit Geldstrafen und sogar Haft bestraft werden. Die nächtliche Ausgangssperre wurde wieder eingeführt. Und es wurde ein erneutes Verkaufsverbot für Alkohol erlassen.


Hausarrest mit sofortiger Wirkung und keine Chance für Panikkäufe


Beim Alkoholverbot geht es weniger darum die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Ziel ist es, Krankenhausbetten von Patienten freizumachen, die aufgrund des Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs von Alkohol eingeliefert werden. Das Verbot kam nicht völlig unerwartet. Auch unter normalen Umständen gibt es in Südafrika große Probleme mit Komatrinken, Trunkenheit am Steuer sowie zahlreichen Gewalttaten und kriminellen Handlungen unter Alkoholeinfluss. Um die Gefährdung durch häusliche Gewalt zu verringern, war der Verkauf von Alkohol in den ersten Wochen des Lockdown bereits untersagt worden. Das Verbot wurde im Juni gelockert, und mit fast sofortiger Wirkung wurden die Krankenhäuser von einer Welle von Patienten mit alkoholbedingten Verletzungen überrollt. Das Gesundheitssystem ist aufgrund des Coronaviruses bereits völlig überlastet. Mediziner und Politiker hatten bereits seit einigen Wochen einen erneuten Bann von Alkohol gefordert.


Doch obwohl sich die zweite Runde der Prohibition bereits abgezeichnet hatte, traf sie die Mehrheit der Bevölkerung völlig überraschend. Die größte Überraschung bestand wohl darin, dass der Bann „mit sofortiger Wirkung“ in Kraft trat. Während in den sozialen Medien darüber diskutiert wurde, ob und wie die Hausbar noch schnell aufgestockt werden könnte, vollzog das National Corona Command Council einen geschickten und bislang einzigartigen Schachzug: Die Veröffentlich und Bekanntgabe im Amtsblatt der Regierung erfolgte unmittelbar nach Ramaphosas Rede. Damit war die Ankündigung unmittelbar rechtskräftig. Die Südafrikaner, die es gewohnt sind, dass sich der Amtsschimmel üblicherweise in einem eher langsamen Trott bewegt, waren verblüfft. Und viele waren empört.


„Wir haben nicht auf Onkel Cyril gehört, jetzt werden wir bestraft.“


Doch nicht nur der Inhalt der präsidialen Ansprache, auch ihr Ton sorgte für Überraschung und Erstaunen. Zwar stellt Kommunikation im Kasernenton während der Coronakrise keine neue Entwicklung dar. Doch waren es bisher vor allem die Minister, allen voran Polizeiminister Bheki Cele, die selbstgefällige Moralpredigten über das Verhalten während der Pandemie hielten. Im Kontrast dazu spielte Ramaphosa bislang die Rolle eines besorgten, aber vertrauensvollen Vaters. Sein üblicher modus communicandi besteht darin, an das Gute in den Menschen zu appellieren und sie freundlich dazu aufzufordern, das richtige zu tun. Da seine Worte kein Gehör fanden, schaltete der Präsident nun in den Frustrationsmodus. „Er klingt so sehr wie ein enttäuschtes Elternteil, es tut mir im Herzen weh“, lies sich auf Twitter lesen. Die South African Times kommentierte: „Handlungen und Konsequenzen; das ist ein Grundsatz der Kindererziehung. Wir haben nicht auf Oom Cyril gehört, und jetzt werden wir unter Hausarrest gestellt.“ Oom ist in Afrikaans das Wort für „Onkel“ und wird – ebenso wie Tata – als respektvolle Anrede insbesondere für einen älteren Mann verwendet.


Ramaphosas Wechsel der Tonart spiegelte auch den Wandel in der Einstellung der Südafrikaner wider. In den letzten Wochen ist die ursprüngliche Unterstützung und die Einhaltung des Lockdowns umgeschlagen in Unzufriedenheit und harsche Kritik, die durch die immer deutlicher spürbar werdenden ökonomischen Folgen noch weiter befeuert werden. Bei den Gerichten sind bereits mehrere Klagen gegen die Regierung eingegangen. Die Politik sieht sich einem starken Lobbying aus fast allen Branchen ausgesetzt, allen voran die Verbände der Tabakindustrie und die in Südafrika schon fast allmächtigen Taxiverbände. Während dessen steigen die Infektionen weiter an und die Krankenhäuser sind überlaufen.


Konfrontation bewirkt kein Verständnis – Kommunikation schon.


So nachvollziehbar die Frustration des Präsidenten auch sein mag, aus dem Blickwinkel der Kommunikation gesehen ist ein hartes Auftreten nicht die beste Lösung in der jetzigen Situation. Der konfrontative Kurs, den die Regierung der Bevölkerung gegenüber fährt, ist wenig geeignet, um Unterstützung und Regeleinhaltung zu fördern. Im Gegenteil – es ist zu befürchten, dass sich der bereits bestehende Graben zwischen dem Volk und seiner Regierung noch weiter vertiefen wird.


Interessanterweise äußern sich viele Südafrikaner verständnisvoll gegenüber der Wiedereinführung des Alkoholverbots. Die Pandemie ist noch immer in vollem Schwung. Den Menschen ist sehr bewusst, dass sie oder ihre Angehörigen selbst bald medizinische Versorgung benötigten könnten. Und sie wissen, dass es zu wenig Krankenhausbetten gibt. Entsprechend unterstützen sie den Ansatz, mehr Kapazitäten freizusetzen. Doch die Art und Weise, mit der der Bann wiedereingeführt wurde, wird von zahlreichen Menschen in Frage gestellt. Und es wird hinterfragt, warum die Notwendigkeit für diese Maßnahme überhaupt besteht, denn der ursprüngliche harte Lockdown hätte eigentlich für die bessere Ausstattung des Gesundheitssystems genutzt werden sollen.


Keine klare Botschaft, kein klares Übereinkommen: Grundsätzliche Regeln der Kommunikation werden nicht befolgt


In der Kommunikation gibt es drei grundsätzliche Regeln, um mit Widerständen umzugehen, Akzeptanz zu generieren und die Grundlagen für ein gemeinsames Handeln zu schaffen. Erstens, klare Botschaften vermitteln. Zweitens, Transparenz zu Daten und Fakten an den Tag legen. Drittens, die Betroffenen einbinden. Keiner dieser Grundsätze wird derzeit in Südafrikas Corona-Kommunikation berücksichtigt. Der offensichtliche Mangel an Bereitschaft in der Politik, sich in der Krise offen und ehrlich mit der Bevölkerung auseinanderzusetzen, ernüchtert mehr als es ein Alkoholverbot jemals könnte.

 

 


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Photo by Andre Hunter on Unsplash


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