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„Greifbar, doch schwierig zu fassen.” Südafrika feiert sein nationales Erbe

Diana Runge | 23. Sept. 2020

Am 24. September ist Heritage Day – einer der wichtigsten südafrikanischen Feiertage. An diesem Tag feiert Südafrika sein kulturelles Erbe. Dazu gehören nach Angaben des Kulturministeriums „Aspekte der südafrikanischen Kultur, die zwar greifbar, jedoch auch schwierig zu fassen sind: kreativer Ausdruck, das historische Erbe, Sprache, die Speisen, die wir zu uns nehmen, sowie das Land, in dem wir leben“ (Department of Arts, Culture, Science and Technology, 1996). In einem breiteren sozialen und politischen Kontext, so das Ministerium weiter, diene der Tag dazu, die südafrikanische Identität zu stärken, Versöhnung zu fördern und die Wahrnehmung zu verbreiten, dass „Vielfalt ein nationaler Wert“ sei. So weit, so unbestimmt.


Mix-and-Match statt Leitkultur


Während die Deutschen sich immerhin noch auf eine Sprache (Deutsch), eine Nationalhymne (Einigkeit und Recht und Freiheit), einen Nationaldichter (Goethe) und eine Sportart (Fußball) einigen können, herrscht in Südafrika ein Neben-, Mit- und manchmal auch Gegeneinander kultureller Prägungen:

 

  • Es gibt elf Amtssprachen: Englisch, Afrikaans, isiZulu, Siswati, Süd-Ndebele, Sesotho, Sepedi, Xitsonga, Setswana, Tshivenda und isiXhosa.
  • Die Nationalhymne besteht aus zwei melodisch völlig unterschiedlichen Gesängen: dem Kirchenchoral ‚Nkosi Sikelel’ iAfrika‘ (Gott, segne Afrika) und der an einen Marsch erinnernden Afrikaans-Hymne ‚Die Stem van Suid-Afrika‘ (Der Ruf Südafrikas). Sie wird in fünf Sprachen gesungen, wobei die Sprache zwischen den Strophen und teilweise sogar zwischen einzelnen Zeilen gewechselt wird.
  • Einen südafrikanischen Dichter oder einen Literaturkanon gibt es nicht: Jede im Land lebende ethnische Gruppe hat ihre eigene Dichter, Denker und Geschichtenerzähler. Hinzu kommt: mündliche Überlieferungen und Erzähltraditionen spielen in vielen Fällen noch heute eine wichtigere Rolle, als das geschriebene Wort.
  • Der Sport schließlich bringt die Südafrikaner zusammen. Zwar hat Südafrika mit Rubgy, Fußball und Kricket gleich drei Nationalsportarten. Internationale Siege, wie zuletzt der Gewinn der Rubgy-Weltmeisterschaft 2019, führen jedoch landesweit und sportartübergreifend zu einem Aufflammen von Nationalstolz.

 

In der Tat ist in einem Land, dessen Bevölkerung so vielfältig ist wie die Südafrikas, jede auch nur ansatzweise Bemühung eine (Leit-) Kultur zu definieren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Allein der Versuch einer kulturellen Vereinheitlichung birgt das unweigerliche Risiko, die tiefen Gräben, die Kolonialherrschaft, Apartheid und Rassentrennung hinterlassen haben, zu vertiefen statt zu überwinden. Mit einer Ausnahme.


Der Heritage Day ist ein gelungenes Beispiel für erfolgreiches Feiertagsframing


Der Heritage Day selber ist der Beweis dafür, dass mit viel gutem Willen, etwas politischem Druck und einer gehörigen Portion Re-Framing das kulturelle Erbe einer Bevölkerungsgruppe zum Kulturgut einer ganzen Nation werden kann. Die Wurzeln des Heritage Day liegen im „Shaka Day“, dem Todestag des legendären Zulu-Königs Shaka Zulu. Unter seiner Führung stieg der bis dahin vergleichsweise kleine Clan der Zulu im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zu einem mächtigen Volk auf. Am 24. September 1828 fiel Shaka Zulu einem Attentat zum Opfer. Sein Todestag war und ist einer der wichtigsten Feiertage der Zulu. Entsprechend groß war die Kritik, als die südafrikanische Regierung bei der Festlegung der nationalen Feiertage des „neuen Südafrikas“ im Jahr 1996 den Shaka Day zunächst nicht auf der Liste hatte.


Oder anders gesagt: Die Südafrikaner verdanken den heutigen Feiertag einem royalen Heerführer, der für sein strategisches und militärisches Geschick bekannt war, und dafür, dass er andere Clans in sein Zulu-Imperium eingliederte, es auf diese Weise vergrößerte und stärkte. Den kriegerischen Hintergrund einmal beiseite lassend liegt darin vielleicht tatsächlich eine Lektion für das heutige Südafrika: Wachstum durch Integration, Stärkung durch Vielfalt, Einigkeit durch Einbeziehung.


Feiertagsriten, oder: Die einigende Kraft der Grillwurst


Bei aller Unterschiedlichkeit gibt es in Südafrika einen kulturellen Aspekt, der von der gesamten Bevölkerung geteilt wird: das Braai. Die südafrikanische Variante des Grillens erfreut sich quer durch alle Gruppen und Schichten größter Beliebtheit. Ob „Boerewors“ (Afrikaans für Bauernwurst), Springbok, Lamm, Steak, Hühnchen oder Hamburger auf dem Grill landen, ist nebensächlich. Auf dem Balkon, auf der Terrasse, im Garten, auf der Straße oder auf einem der zahllosen öffentlichen Grillplätze wird das Feuer entfacht und für viele Stunden gegrillt, gegessen, gefeiert – und das nicht nur am Heritage Day.


„Es gibt nicht eine Person in Südafrika, die von sich sagen könnte, sie sei noch niemals bei einem Braai dabei gewesen“. Mit diesen Worten bekräftigte Erzbischof Desmond Tutu die einigende Kraft der Grillwurst – und nahm im Jahr 2007 die Schirmherrschaft für den National Braai Day an. Er wies ebenfalls darauf hin, dass „braai“ das einzige Wort ist, das in allen elf Amtssprachen des Landes verstanden wird. So scheint es ganz passend und ist keineswegs ein Zufall, dass der National Braai Day ebenfalls am 24. September gefeiert wird: seit 2008 auch ganz offiziell mit dem Segen des South African Heritage Council, das sich dem Schutz und der Bewahrung des kulturellen Erbes verschrieben hat. Doch es gibt auch Kritiker. Diese protestieren gegen die Gleichsetzung von Kulturerbe und Fleischbrutzeln. Sie treibt die Sorge um, dass die Festivitäten rings um die Feuerstelle dazu führen könnten, dass die Menschen ihre Geschichte und die Bedeutung des Heritage Days vergessen könnten.


Kritik, Meinungsverschiedenheiten und Proteste waren stets Teil der Geschichte und der Entwicklung dieses Landes. Sie gehören zum nationalen Erbe dazu – ohne sie wäre Südafrika nicht Südafrika. Kein Anlass zur Sorge also.



In diesem Sinne:

Happy National Heritage / Braai Day .



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Photo by Jacob Owens on Unsplash


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